Natascha Strobl: Radikalisierter Konservatismus

Immer wieder wird in Debatten zu Recht gefordert, terminologisch zu differenzieren und nicht jeden Konservativen einen Rechtsradikalen zu schimpfen. Auch rein historisch betrachtet ist beides nicht dasselbe. Wiewohl es Überschneidungen zwischen wertkonservativer und nationalistischer Gesinnung gibt, muss beides trennscharf voneinander abgegrenzt werden. Wie nennen wir nun aber diejenigen, die, aus dem konservativen, etablierten Spektrum stammend, immer mehr das Spiel der Neuen Rechten mitspielen und sich ähnlicher Mittel bedienen, um ihre politische Macht zu sichern? Die Politikwissenschaftlerin Natascha Strobl schlägt dafür den Begriff des radikalisierten Konservatismus vor. In ihrer Analyse geht sie dabei vor allem auf Sebastian Kurz und Donald Trump ein.

„Unter radikalisiertem Konservatismus“, schreibt Strobl, „verstehe ich eine Transformation bestehender konservativer Großparteien. (…) Die konservative Partei kündigt einseitig den (prekären) Konsens mit der linkeren staatstragenden Partei – der (historisch) organisierten Arbeiter:innenbewegung – auf. (…) Es geht nicht mehr darum, ein detailliertes Programm auszuarbeiten und möglichst überzeugend zu vertreten. Es geht darum, ein Gefühl der Sicherheit zu vermitteln.“ Was aber ist charakteristisch für den radikalisierten Konservatismus? Was unterscheidet ihn etwa vom rechtsextremistischen Spektrum?

Zunächst die Tatsache, dass er aus bereits etablierten Parteistrukturen erwächst. Er ist keine Graswurzelbewegung, auch wenn er sich gern als solche geriert. Er hat lange von dem System profitiert und innerhalb seiner Grenzen Glaubwürdigkeit aufgebaut, von dem er sich jetzt mittels Widerstandspose oder Erlösungsrhetorik abzugrenzen versucht. Der radikalisierte Konservatismus aber bedient sich auch einiger Strategien etwa der Neuen Rechten. Deren politischer und ideologischer Fahrplan basiert zu einem nicht geringen Anteil auf der Idee des Kampfes im „vorpolitischen Raum“. Um politische Macht zu gewinnen, muss zunächst die kulturelle Vorherrschaft gesichert sein. Wenn sich Denk- und Sprachmuster innerhalb der Gesellschaft erst zugunsten neurechter Bewegungen verschoben haben, lassen sich leichter Mehrheiten gewinnen. Diesen Kampf um „kulturelle Hegemonie“ (Konzept bei Antonio Gramsci geklaut) beobachten wir nun seit einigen Jahren. Grenzen des Sagbaren werden vor aller Augen verschoben, nicht zufällig, sondern ganz bewusst.

Strobl identifiziert eine radikale Vereinfachung (Komplexität und Differenzierung werden höchstens als unnötige Verkomplizierung eigentlich simpler Sachverhalte verstanden), eine klare Verortung des Feindes, die Delegitimation von Medien, Justiz und Parlament sowie eine gegenseitige Durchdringung zwischen neurechten, neoliberalen und konservativen Standpunkten als konstitutiv für den radikalisierten Konservatismus. Besonders gut zu beobachten an der Bubble Jungliberaler, die vor allem die Leistungsträger*innen der Gesellschaft feiern (und damit in der Regel Start-Up-Unternehmer*innen und Entrepreneur*innen meinen, niemals Menschen in relevanten, aber schlecht bezahlten Berufen). Der Blick auf Arbeitslose, Kranke, migrantisch gelesene Menschen oder eben Geringverdiener*innen ist entsprechend verächtlich. Die hätten es ja auch mal zu etwas bringen können, wenn sie gewollt hätten.

Im radikalisierten Konservatismus verschmelzen die Feindbilder der traditionellen extremen Rechten mit jenen des Neoliberalismus. Es wird kein hartes völkisches Weltbild propagiert, sondern Ethnie, Migrationshintergrund, völkisches und kulturelles „Anderssein“ mit Klasse verknüpft. (…) Die neoliberale Spielart eines manichäischen Weltbilds ist die Einteilung in die Fleißigen und die Faulen. Die Faulen sind aber nicht aus bestimmten, vielleicht sogar nachvollziehbaren Gründen „faul“, sie sind faul aus Niedertracht oder Charakterschwäche.

Zum Instrumentarium nicht nur der Neuen Rechten, sondern auch des radikalisierten Konservatismus gehört nach Strobl auch der kalkulierte Tabu- und Regelbruch, insbesondere von ungeschriebenen Regeln menschlichen Miteinanders. Ihre Missachtung wird dabei als Widerstandspose inszeniert und von Anhänger*innen gefeiert. Donald Trumps permanenter Bruch mit allen ungeschriebenen und diversen geschriebenen Regeln des politischen Betriebs ist ein gutes Beispiel. Der Bruch ungeschriebener Regeln des Anstands oder der Moral hat den entscheidenden Vorteil, nicht juristisch geahndet werden zu können. Er löst allenfalls Empörung aus, nicht mehr. Und die Empörung gehört zum Spiel, eine dauererregte Öffentlichkeit ist nützlich.

Immer weiter zu eskalieren, neue Aufreger zu produzieren, Banalitäten zu skandalisieren und Ablenkungsstorys zu lancieren – all das gehört zu einer Strategie, auf die Steve Bannons Diktum „flooding the zone with shit“ gemünzt war.

Das „Überhitzen“ etablierter Medien mittels diverser Aufreger und bewusst gestreuter Skandale soll am Ende die Maschinerie lahmlegen und die Medien delegitimieren. Bei dem Versuch, sämtliche Behauptungen und Geschichten auf Nachrichtenwert und Wahrheitsgehalt zu überprüfen, werden Kräfte gebunden. Nicht zuletzt sorgt die sogenannte False-Balance (also das gleichwertige Berichten über nicht-gleichwertige Positionen) für eine Verzerrung von Sachverhalten. „Die etablierten medien“, so Strobl, „tappten in die Both-Sides-Falle. Dafür genügt es, dass eine Seite abstruse und absurde Behauptungen aufstellt. Diese werden dann gleichberechtigt mit der Entgegnung oder Fakten berichtet. Das führt zu einer Vermengung von Fakten und Fake News.“ Am Ende geht das Kalkül auf, wenn Medien als unglaubwürdig gebrandmarkt werden. Aber bereits weitaus früher entfaltet diese Art der Diskurslenkung zerstörerische Wirkung. Etwa dort, wo Menschen verunsichert darüber sind, wem sie noch trauen können. Da trifft es sich gut, dass auch der radikalisierte Konservatismus eine Antwort darauf hat: Recht hat und Wahrheit spricht nur die Führerfigur, der von ihren Anhänger*innen bedingungslos die Treue gehalten wird, während alle anderen Feinde oder mindestens mit dem Feind im Bunde sind. Dem radikalisierten Konservatismus geht es nicht mehr um Bündnisse und Kompromisse, es geht um die politische Vernichtung des Gegners. Auch die permanente Opferrolle haben sich die Vertreter*innen des radikalen Konservatismus angeeignet; permanent sind sie bedroht vom linken woken Gendermainstream mit Lastenfahrrad und Frauenquote oder von diffusen Mächten im Hintergrund (hier findet sich eine Schnittstelle zu den sattsam bekannten Verschwörungsideologien).

Die Vertreter:innen des radikalisierten Konservatismus funktionieren nur als Opfer oder Märtyrer, nicht als Gesprächspartner:innen auf Augenhöhe.

Das Spiel mit den Medien und der öffentlichen Erregung ist am Ende ein Dilemma, das auch Strobl in ihrer Analyse nicht auflösen kann. Einerseits bedient die öffentliche Erregung natürlich den Mechanismus, auf Twitter können wir es beinahe täglich in Echtzeit beobachten. Andererseits können manche Tabu- und Regelbrüche nicht einfach unkommentiert bleiben. Teil einer wehrhaften Zivilgesellschaft, einer funktionierenden Medienlandschaft zu sein, bedeutet auch, gewisse Grenzverschiebungen nicht zu akzeptieren, als solche zu benennen und sich solidarisch mit denen zu zeigen, die in besonderer Weise von ihnen bedroht werden. Wie kann das gelingen, ohne immer wieder über sorgsam positionierte Stöckchen zu springen? Das ist und bleibt eine Gratwanderung.

 

Strobl analysiert kenntnisreich nicht nur die historischen Traditionslinien, sondern auch die jüngeren Ursprünge eines Konservatismus, dessen Überschneidungspunkte mit dem rechtsnationalen, rechtspopulistischen Spektrum auch Ausdruck eines Aufbäumens gegen einen Modernisierungsschub sind, der alte Gewissheiten in Frage stellt. Es tritt immer deutlicher zutage, dass Konservatismus neben seinem bewahrenden Element ein progressives Element braucht. Ein politisch tragfähiges Zukunftskonzept, keine Verklärung der Vergangenheit, kein bräsiges „Weiter so“. Dem kann man offen und aufgeschlossen begegnen, wie es einige Konservative auch tun. Oder man kann sich in Widerstandspose werfen gegenüber einer Welt, für deren konkrete Gestaltung einem die Ideen fehlen. „Radikalisierter Konservatismus“ ist eine lohnenswerte, scharfsinnige Betrachtung nivht nur eines Phänomens, das zunehmend den gesellschaftlichen Diskurs verunmöglicht, sondern auch eines politischen Milieus, das im Schulterschluss mit der extremen Rechten an den Grundpfeilern demokratischer Gesellschaften sägt.

Natascha Strobl: Radikalisierter Konservatismus. Suhrkamp. 192 Seiten. 16,00 €.

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