Katharina Nocun, Pia Lamberty: True Facts

Jeder von uns hat sich vermutlich schon einmal im sozialen Medium seiner oder ihrer Wahl in eine Diskussion über Verschwörungsmythen verwickeln lassen. Emotionalisiert wie solche Debatten in der Regel verlaufen, schaukelt man sich gegenseitig hoch, ist man fassungslos ob des Ausmaßes einiger Theorien und ihrer ganz konkreten gesellschaftlichen Folgen, versucht man, durch möglichst stichhaltige Gegenrede zu entkräften, was manchmal nicht mehr zu entkräften ist. Gerade im Zuge des letzten Jahres habe ich einige lose Facebook-Bekanntschaften in Gefilde abdriften sehen, in die ich ihnen weder folgen konnte noch wollte. Der erhebliche Vorteil an dieser Konstellation: Lose Bekanntschaften und anonyme Internetdebatten können jederzeit beendet und verlassen werden, ohne eine wertvolle Beziehung zu gefährden. Wenn die Verschwörungserzählungen im Freundes- oder Familienkreis kursieren, sieht das alles schon wieder erheblich anders aus.

Nach Fake Facts, einer konzisen Überblicksdarstellung der Strukturen und Ursprünge von Verschwörungserzählungen, haben Katharina Nocun und Pia Lamberty mit True Facts nun einen Leitfaden für den Umgang mit Verschwörungsgläubigen im direkten Umfeld verfasst. Immer wieder liest man, dass Bewegungen wie QAnon oder Querdenken indirekt zu familiären Zerwürfnissen oder Trennungen geführt haben, weil etwa ein Familienmitglied fest von deren Ideologie überzeugt war. Der Leidensdruck bei Angehörigen ist hoch, wollen sie doch einerseits den geliebten Menschen nicht verlieren, andererseits aber auch auf dessen fanatische Ideen nicht mehr unaufhörlich irgendwie reagieren müssen. Oft suchen Freunde und Verwandte erst Hilfe, wenn die Fronten völlig verhärtet sind, etwa bei einer Sektenberatungsstelle (es finden sich durchaus bedenkenswerte Überschneidungen zwischen Verschwörungsgläubigen und Sektenanhänger*innen), seit kurzem gibt es veritas, eine Beratungsstelle, die sich konkret an Angehörige richtet.

True Facts leistet nun wichtige Differenzierungsarbeit. Es unterscheidet drei wesentliche Motivationen, Verschwörungsnarrativen anzuhängen (existenzielle, epistemische und soziale Motivation) und ermutigt dazu, vor allem im unmittelbaren Umfeld den Versuch zu unternehmen, diese Motivationen zu ergründen. Es wird schnell klar, was man ohnehin vage weiß: Je gefestigter der Verschwörungsglauben, desto unwahrscheinlicher, ihn durch faktenbasierte, inhaltliche Diskussion zu erledigen. Je nachdem, wie sehr nicht nur der Glauben selbst, sondern auch die Zugehörigkeit zur Gruppe der „Erwachten“ mit dem eigenen Selbstbild verwoben ist, braucht es andere Interventionen. Nocun und Lamberty liefern hierzu ganz konkrete Tipps für Gespräche, die sie aber vor allem im Kontakt mit Betroffenen aus dem Familien- und Freundeskreis verstanden wissen wollen. Es geht dabei oft um Beziehungsarbeit, das Anknüpfen an gemeinsame Erfahrungen, das Nutzen eines Vertrauensvorschusses durch die bereits bestehende Bindung – all das lässt sich nur bedingt auf Wildfremde in sozialen Medien anwenden.

Allerdings dürfte für jede Diskussion gelten, dass sich die wenigsten durch Druck oder Beleidigungen von einer Überzeugung abbringen lassen, von der sie auch selbst psychologisch profitieren. Im direkten Umfeld sei es von Bedeutung, gegenseitige Wertschätzung und das Interesse am Befinden des anderen zum Ausdruck zu bringen, auch wenn man unter keinen Umständen inhaltlich zustimmt. Überhaupt sei es erst einmal sinnvoll, festzustellen, wie tief der Verschwörungsglauben bereits Wurzeln geschlagen hat, um die eigenen Gegenmaßnahmen daran auszurichten. Nicht jede*r Impfgegner*in glaubt felsenfest an den „Great Reset“, nicht jede*r Coronamaßnahmengegner*in steht mit beiden Beinen im Sumpf antisemitischer Weltverschwörungsideen. Wenn man herausgefunden hat, wo auf der Skala sich der oder die Betroffene bewegt, kann man entscheiden, mit welcher Reaktion man mutmaßlich am besten fährt. Wer versehentlich aus Verunsicherung eine Fake-Meldung verbreitet, spricht wahrscheinlich noch auf eine Richtigstellung via Factchecking oder sachlicher Gegenargumente an. An anderen prallen derlei Versuche längst ab, weil sie sich gegen jede Kritik immunisiert haben. Hier zu unterscheiden, gebieten auch der Respekt und die Zuneigung zu einer Person, die man womöglich zuvor ganz anders kannte.

Auf welche Weise Menschen mit Verschwörungserzählungen in Berührung kommen, ist ganz unterschiedlich. In der gesellschaftlichen Debatte wird oft die sogenannte Medienkompetenz beschworen, die man jungen Menschen beibringen müsste, um sie gegen Verschwörungsnarrative zu immunisieren. Wer weiß, wie das Spiel funktioniert, ist weniger gefährdet, darauf reinzufallen. Allerdings haben jüngere Untersuchungen zur Medienkompetenz auch erheblichen Nachholbedarf bei den Älteren ergeben – denen, die nicht mit dem Internet und sozialen Medien aufgewachsen sind. Der Ruf nach mehr Medienkompetenz ist richtig, aber er sollte sich an alle Altersgruppen richten; nicht nur an die sogenannten Digital Natives. Alle, die ich aus der Entfernung in den letzten zwölf Monaten habe abdriften sehen, waren Männer mittleren bis fortgeschrittenen Alters, häufig mit höheren Bildungsabschlüssen, in jedem Falle solche, denen man zugetraut hätte, eine verlässliche von einer unseriösen Quelle zu unterscheiden.

Dankenswerterweise geht True Facts auch auf die häufige Verquickung von Verschwörungsglauben und psychischer Erkrankung ein. Wie oft liest man, Menschen, die an Chemtrails oder Echsenmenschen glaubten, müssten irre sein und gehörten in die Psychiatrie? Nocun und Lamberty zeigen deutlich, weshalb eine solche Perspektive problematisch ist und wie sich etwa fachlich psychotische Wahnvorstellungen von handelsüblichen Verschwörungserzählungen unterscheiden. Nicht, dass nicht beides gemeinsam auftreten könnte; manche Untersuchung etwa zeigt, dass Anhänger*innen von QAnon und ähnlich radikalisierten Gruppen zu einem größeren Prozentsatz (schwer) psychisch erkrankt sind. Inwieweit aber diese Erkrankung ursächlich für ihr radikales Weltbild ist, darf bezweifelt werden. Gewalttaten, die einer radikalen Ideologie entspringen, zu psychologisieren, birgt Gefahren: einerseits die Entpolitisierung und Entkontextualisierung der Tat, andererseits die weitere Stigmatisierung psychisch erkrankter Menschen.

True Facts ist eine sehr lesenswerte und praxisbezogene Handreichung für Menschen, die in ihrem privaten oder beruflichen Umfeld mit Verschwörungserzählungen konfrontiert sind und ihnen etwas entgegensetzen wollen. Schweigen, so stellen die Autorinnen mehrfach klar, kann keine Lösung sein. Weder gesellschaftlich noch ganz individuell. Dafür haben Verschwörungsnarrative in der Geschichte – und insbesondere in den letzten Jahren zu großen Schaden angerichtet.

Katharina Nocun, Pia Lamberty: True Facts. Quadriga Verlag. 176 Seiten. 12,00 €.

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