Franziska Seyboldt: Rattatatam, mein Herz

2016 schrieb Franziska Seyboldt in der taz über ihre Angststörung, seit 2017 schreibt sie dort in einer eigenen Kolumne (Psycho) über psychische Erkrankungen. Es waren ehrliche, nahbare und offene Artikel darüber, wie es ist, mit krankhafter Angst zu leben. Wie es ist, wenn sich vor lauter Panik das Blickfeld verengt, das Herz rast und im Inneren bloß noch Alarmglocken schrillen: alle Zeichen auf Flucht. Aus diesen Artikeln ist nun ein Buch entstanden, das nicht etwa Ratgeber sein will oder Selbsthilfebuch. Es enthält keine Meditationsübungen oder Listen zum Abhaken, nicht die eine Lösung. Dafür aber charmant selbstironische Schilderungen darüber, wie es sich anfühlt, wenn die Angst einem im Nacken sitzt.

Für Nicht-Betroffene ist es vermutlich unvorstellbar, in einer alltäglichen Situation von Panik überwältigt zu werden. Binnen Sekunden rast der Puls ohne Geschwindigkeitslimit, im Hals schwillt ein Kloß zu unnatürlicher Größe, die Hände werden schwitzig, die Wahrnehmung verändert sich. Plötzlich ist die Welt eng und bedrohlich, alles zum Ersticken nah, zu laut und gleichzeitig hinter einer schlierigen Milchglasscheibe. Von außen ist an diesen Situationen nichts Besonderes zu finden. Man steht vielleicht gerade im Bus oder in der Schlange an der Supermarktkasse. Man will bloß Brot kaufen und selbst das kostet enorme Kraft und Überwindung. Man lebt eigentlich nur und trotzdem, etwas stimmt nicht. Angststörungen gehören, neben Depressionen, zu den häufigsten psychischen Erkrankungen. Und während wir es gesellschaftlich immer öfter schaffen, über Depressionen zu sprechen – zum Glück -, sind Angststörungen weit seltener Thema. Viel mehr steht Depression oft als Chiffre für psychische Krankheit überhaupt. Noch viel zu oft gelten psychische Erkrankungen als Indikator für Schwäche. Ist das Leben zu hart, bist du eben zu schwach. Das ist die einfache Gleichung all derer, für die persönliche Probleme auch unter allen Umständen in den persönlichen Raum gehören, unausgesprochen, zugedeckt von einem Mantel des höflichen Lächelns. Franziska Seyboldt schert das, dankenswerterweise, nicht mehr.

Auch wenn die aktuelle politische Weltlage Grund zur Sorge gibt und Minderheiten, egal welche, immer gefährlicher leben als die vermeintlich »Normalen« – aus Angst vor den möglichen Folgen eines Outings den Schein aufrechtzuerhalten, es sei alles in bester Ordnung, reproduziert ja gerade das Dilemma, mit dem ich und viele andere zu kämpfen haben. Genau dieses Verhalten legt den Grundstein für eine Angststörung.

Es ist die implizite Annahme, funktionieren und gefallen zu müssen, die oft genug Öl ins lodernde Feuer der Angst gießt. Die Überzeugung, sich um jeden Preis zusammenreißen zu müssen, überall, sei es nun, weil das immer von uns erwartet worden ist oder weil wir es selbst von uns erwarten, macht krank. Franziska Seyboldt erzählt von “Schildkrötentagen”, an denen sie sich sicher und gepanzert fühlt, an denen sie nichts so schnell berühren kann. Und von Tagen, an denen “Geräusche, Gerüche, Farben” durch sie hindurchplätschern wie Wasser durch ein Nudelsieb.

An diesen Tagen ist alles zu laut, zu nah, zu präsent. Diesen Zustand als dünnhäutig zu bezeichnen, wäre untertrieben, denn da ist keine Haut; sie hat sich über Nacht abgeschält, und die Organe liegen blank und pochen vor sich hin. Als Sieb ist immer Tag der offenen Tür.

Sie versucht es mit kognitiver Verhaltenstherapie, die bei Ängsten als die wirksamste Methode gilt. Was das Gehirn erlernt hat, kann es auch wieder verlernen, so das Credo. Wer sich immer wieder mit seinem Schrecken konfrontiert, verliert ihn irgendwann, so die Theorie. Nicht immer funktioniert das so formschön wie im Lehrbuch. Eine Angststörung ist manchmal wie die paradoxe Freude des Gehirns an einer selbsterfüllenden Prophezeiung. Die meisten Attacken beginnen mit einem unwillkürlichen Gedanken: Was wäre wenn (bitte bevorzugtes Angstszenario einsetzen)? Ab da läuft alles wie geschmiert, Neuronen feuern, man weiß gar nicht, wie man jetzt eigentlich darauf kommt, ist aber auch egal, die Maschine läuft schon. Wer unter krankhafter Angst leidet, sieht sich außerstande, nur den Moment zu sehen. Er muss kontrollieren, alles durchdenken, möglichst Vieles vorausplanen, um nicht von Katastrophen überrascht zu werden. Auch Franziska Seyboldt durchdenkt bereits in jungen Jahren schreckliche Szenarien, malt sich den Tod ihrer Eltern aus, um, so nimmt sie sich vor, schlimmstenfalls darauf vorbereitet zu sein. Sie will cool sein, unangreifbar, vielleicht auch abgeklärt. Mithilfe einer tiefenpsychologischen Therapie beginnt sie langsam zu begreifen, wie sehr sie immer wieder ihre eigenen Grenzen und Bedürfnisse missachtet, aus falscher Rücksichtnahme auf andere. Wer immer nett war, immer ein strahlender Sonnenschein, der eckt plötzlich an, wenn er für sich und sein Wohlbefinden einsteht. Gesünder ist es allemal. Angst ist manchmal auch ein Warnsystem.

Es gibt keine Möglichkeit, zu flüchten, jedenfalls nicht, ohne sich Ärger einzuhandeln oder sich zu blamieren. So ist es oft: Die Angst kommt in Situationen, in denen mich äußere Umstände daran hindern, mich frei zu bewegen.

Rattatatam, mein Herz steckt voller Humor und Selbstironie. Die Angst tritt immer wieder als eigenständige Begleiterin und Dialogpartnerin in Erscheinung, fast wie eine WG-Bewohnerin, die einem zu sehr auf die Pelle rückt. Oder wie eine Freundin, die immer wieder kommt, obwohl sie längst weiß, dass man einfach zu verschieden für eine Freundschaft ist. Manch einer mag das albern finden, für mich stecken darin eine gesunde Form der Distanz zu sich selbst und die notwendige Überzeugung: Ich bin nicht meine Angst. Schön, dass Franziska Seyboldt ihr Buch nicht als Geschichte der Heilung erzählt. Am Ende ist nicht alles überwunden und schön, aber es ist besser. Am Ende steht eine kleine Befreiung durch Offenheit.

Es ist wichtig, dass es Bücher wie Seyboldts gibt. Dass es Menschen gibt, die sich trauen, darüber zu reden, Vorurteile aus dem Weg zu räumen und andere zu ermutigen, sich nicht aus Scham zu verstecken, sondern Hilfe zu suchen. Meine Vorfreude auf dieses Buch war nicht grundlos so riesig. Ich leide selbst seit vielen Jahren unter einer Angststörung, die mir vieles verunmöglicht. Manchmal die einfachsten Dinge, über die sich andere niemals Gedanken machen. Das Einkaufen, das Busfahren, das Reisen ganz generell, Essen gehen, Menschenmassen. Jede ungewohnte, stressige Situation kann das Fass schon zum Überlaufen bringen. Ich selbst hadere des Öfteren damit, wie offen man sein kann und darf. Wann es besser ist, sich zu verbiegen und zu verstecken. Dafür gibt es wahrscheinlich keine einfache Lösung. Wichtig ist, es aus der düsteren Ecke des Tabus hinaus ans Licht zu zerren und darüber zu reden. Es gibt viele Betroffene. Den wenigsten sieht man es an. Und sie sind nicht schwach, sie kämpfen jeden Tag.

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