Die letzten Corona-Jahre haben das kulturelle Leben streckenweise zum Erliegen gebracht. Festivals, Lesungen, Konzerte, Buchmessen – alles wurde wieder und wieder verschoben und abgesagt. So auch die Buchmacher-Messe in der Lübecker Petrikirche, die seit 2015 fester Anlauf- und Ankerpunkt für Literaturinteressierte war, die sich gelegentlich abseits der sattsam bekannten Bestsellerlisten bewegen wollten. Umso erfreulicher, dass die Buchmacher am Wochenende nach ihrer dreijährigen Pause endlich wieder ausstellen und mit ihren Büchern begeistern konnten. Mehr als dreißig Verlage sind dem Ruf nach Lübeck gefolgt, darunter alte Bekannte wie der Berliner Verbrecher Verlag oder die Edition Nautilus aus Hamburg, aber auch Neulinge wie der Schweizer Dörlemann Verlag, Rote Katze direkt aus Lübeck oder Schöffling aus Frankfurt – letzterer brachte mit Jami Attenberg gleich internationalen Besuch mit. Die US-amerikanische Autorin gab ihr Lesungsdebüt in Deutschland und sprach mit Kulturredakteur Jan Ehlert sehr sympathisch und einnehmend über ihren aktuellen Roman Ist alles deins!.
Corona hat sie nicht kleinkriegen können, die Messe nicht und die unabhängigen Verlage ebensowenig. Auch wenn es für viele harte zwei Jahre waren. Insbesondere Verlage, deren Autor:innen Debtüromane veröffentlicht hatten oder zuvor mit ihren Texten besonders auf Lesebühnen präsent waren, kämpften um Sichtbarkeit. Manches lässt sich mit guter Presse kompensieren, die persönliche Begegnung mit Leser:innen aber ist schwer ersetzbar. Und die Enttäuschung bei denen, die jahrelang an einem Roman gearbeitet haben, nur um ihn 2020 in der Versenkung verschwinden zu sehen, ist berechtigtermaßen groß. Manche Verlage haben zwischenzeitlich keine Neuerscheinungen veröffentlicht, das Geld war zu knapp. Auch deshalb ist die Buchmachermesse und andere ihrer Art im Moment besonders wichtig: Sie schafft wieder einen Raum für die Titel, denen die Weltlage das Spotlight gestohlen hat. Hier kommt es gar nicht so sehr darauf an, nur Neuerscheinungen zu entdecken, sondern überhaupt besondere Romane, tolle Buchgestaltung oder auch wiederaufgelegte Klassiker. Manchen raubt die Weltlage Aufmerksamkeit, anderen spielt sie sie unverhofft und in tragischem Kontext zu. Verleger Sebastian Guggolz, bekannt dafür, literarische Klassiker in wunderschöner Gestaltung heutigen Leser:innen wieder zugänglich zu machen, berichtet etwa, dass der Roman Die Stadt von Walerjan Pidmohylnyj (ursprünglich 1928 erschienen) durch den Krieg in der Ukraine ungeahnte Aufmerksamkeit erfahren hat. Er erzählt von einem Künstler, der Anfang der Zwanzigerjahre durch Kiew zieht und sich schließlich in der Stadt verliert.
Von Beginn an gibt es reges Treiben auf der Messe, die Menschen sind neugierig, aufgeschlossen und dankbar für ein Stückchen neue Normalität. Neben Jami Attenberg stellen auch andere Autor:innen ihre Bücher vor, darunter u. a. Bettina Wilpert („Herumtreiberinnen„, Verbrecher Verlag), Susanne Böhm („Como. 30 Tage„, Schruf & Stipetic), Florian Knöppler („Habichtland„, Pendragon Verlag) und Selim Özdogan („Die Musik auf den Dächern„) – das gesamte Programm ist hier noch einsehbar, inklusive aller teilnehmenden Verlage. Insbesondere Selim Özdogan trifft mich mit seiner Lesung ganz unerwartet. Ich höre ihm gebannt zu und spüre, wie ich zwischenzeitlich zustimmend mit dem Kopf nicke. Passiert mir bei Lesungen auch nicht so häufig, muss ich gestehen.
Allerorten hört man, wie schön und erleichternd es ist, wieder zusammenzukommen. Über Bücher zu sprechen. Sich auszutauschen. Messen wie die Buchmacher sind, vielleicht heute noch mehr als vor einigen Jahren, Orte der kulturellen und literarischen Vielfalt. Das spiegelt sich in den Verlagsprogrammen, in denen Autor:innen aus aller Herren Länder vertreten sind, aber auch in der Veranstaltung an sich. Es ist nicht schwer, sich on- und offline über Bestseller zu informieren. Sie liegen stapelweise in den Buchhandlungen, ihre Autor:innen sind gern gesehene Talkshowgäste, man kennt Fitzeks und Streleckys, Strobels und die Gesänge der Flusskrebse. Dass das aber nur ein Teil der Literaturlandschaft ist, kann man bei den Buchmachern sehen, Jahr um Jahr. Damit unsere Literaturlandschaft weiter ein so buntes, vielfältiges Biotop bleibt, braucht es Begegnungsorte und Messen, kleine wie große, um Entdeckungen zu machen und über den berühmten Tellerrand zu sehen.
Auch im kommenden Jahr soll es die Buchmacher wieder geben, mit ihrer wilden und leidenschaftlichen Mischung aus Romanen, Sachbüchern, Kinderbüchern und allem zwischendrin. Eigentlich kann hier jede:r etwas finden, das sein oder ihr Bücherherz zum Schlagen bringt. Ich bin froh, dass nach der langen Pause noch immer alle an Bord sind (bereits in den letzten Jahren habe ich noch auf meinem alten Blog über die Buchmacher geschrieben, zuletzt 2019, nichtsahnend, was uns allen bevorstehen würde). Ein bisschen ist es so, als seien wir die letzten Jahre auf ganz unterschiedlich beschaffenen Pfaden durch einen dunklen Wald gelaufen – und träten nun langsam wieder aus dem Dickicht, um zu sehen, ob wir noch vollzählig sind. Ein paar Schrammen und Kratzer haben wir, aber wir sind noch da. Das ist ein Glück!
Noch ein paar Impressionen zum Schluss (zum Vergrößern auf die Bilder klicken).